Unterwegs
Besuch des Wiener Stadttempels

Interreligiöses Lernen – die Begegnung mit dem Judentum – stand am 9. März 2017 für die Schülerinnen und Schüler der 6. Klassen auf dem Programm.
Zunächst gab es einen kleinen Spaziergang mit einem Guide des Jüdischen Museums zu markanten Plätzen des jüdischen Wiens im 1. Bezirk. Erstes Ziel war der Judenplatz mit dem Mahnmal für die österreichischen jüdischen Opfer der Schoah, das auf eine Initiative von Simon Wiesenthal zurückgeht und von der britischen Künstlerin Rachel Whiteread entworfen wurde. Es wurde am 25. Oktober 2000 enthüllt und ist ein Stahlbetonkubus, dessen Außenflächen als nach außen gewendete Bibliothekswände gestaltet sind. Damit werden die vielen unbekannten und verborgenen Schicksale jüdischer Menschen symbolisch dargestellt. Auf dem Sockel rund um das Mahnmal sind die Namen jener Orte festgehalten, an denen österreichische Juden während der NS-Herrschaft zu Tode kamen. Ein weiteres Mahnmal gegen Krieg und Faschismus wurde erst am Nachmittag besichtigt und befindet sich auf dem Albertinaplatz. Der »Straßenwaschende Jude« des Bildhauers Alfred Hrdlicka ist ein eindringliches Zeichen gegen den Rassismus einst und jetzt.
Am Judenplatz befindet sich auch das Denkmal des deutschen Dichters Gotthold Ephraim Lessing. Lessings »Ringparabel« im Drama »Nathan der Weise« gilt als Schlüsseltext der Aufklärung und als Aufruf zur Toleranz gegenüber den anderen Religionen. Das Museum Judenplatz, das sich zum Teil unter dem Platz befindet, zeigt Schauräume zum mittelalterlichen Judentum in Wien und die Ausgrabungen der mittelalterlichen Synagoge.
Nach dem Judenplatz ging es weiter zur Theodor-Herzl-Stiege. Eine Gedenktafel erinnert hier an den Begründer des modernen politischen Zionismus. Herzl weihte sein Leben der Aufgabe, die Juden aus aller Welt nach Palästina zurückzuführen, um ihnen eine Heimat zu geben, in der sie vor Verfolgung sicher wären.
Aufmerksam gemacht wurden die Schüler auch auf die vor manchen Häusern in den Boden eingelassenen Gedenktäfelchen, die an die jüdischen Mitbürger erinnern sollen, die hier einst gelebt haben und dann vertrieben oder deportiert wurden. Von den einst 200.000 Juden leben heute nur mehr knapp 10.000 in unserem Land.
Schlusspunkt und Höhepunkt der Führung war sicherlich der Wiener Stadttempel, die Hauptsynagoge von Wien, die sich in der Seitenstettengasse 4 befindet. Sie wurde im Jahre 1825/26 eröffnet und vom Architekten Joseph Kornhäusel geplant und erbaut. Entsprechend den damals geltenden Vorschriften mussten nichtkatholische Gotteshäuser »unsichtbar« bleiben und durften nicht von der Straße aus als solche erkennbar sein. Die Synagoge selbst befindet sich in einem mehrgeschossigen Mietshaus, in dem auch Einrichtungen der Israelitischen Kultusgemeinde untergebracht sind. Der ovale Gebetsraum mit einem umlaufenden Kranz von 12 Säulen, auf denen die Frauengalerie ruht, wird von einer Kuppel überwölbt, die als Sternenhimmel gestaltet ist. Man hat in dieser Synagoge, die in etwa 700 Sitzplätze hat, eher den Eindruck in einem Theaterraum zu sein als in einem Gotteshaus. Wichtigster Teil der Synagoge ist natürlich der Toraschrein, der mit den Tafeln des Dekalogs bekrönt ist.
Während der »Reichskristallnacht« vom 9. auf 10. November 1938 alle anderen über 90 Wiener Synagogen und Bethäuser in Brand gesteckt wurden, entging diese Synagoge durch ihre enge Verbauung im Wohngebiet als einzige der Vernichtung. Der Innenraum wurde allerdings entweiht und verwüstet. Eine Gedenkstätte im Vorraum des Tempels erinnert in Form einer abgebrochenen Granitsäule an das von den Nazis 1938 vernichtete jüdische Gemeinwesen. Die Namen der ermordeten 65.000 österreichischen Juden sind hier auf drehbaren Schiefertafeln eingraviert.
Die Angst vor Anschlägen ist auch der Grund, dass der Stadttempel und alle anderen jüdischen Einrichtungen Wiens von der Polizei laufend beschützt werden. So mussten auch die Schüler entsprechende Sicherheitsschleusen wie am Flughafen passieren, um in das Innere der Synagoge zu gelangen.
Begleitet wurden die 6. Klassen auf ihrer Exkursion von den Klassenlehrern Mag. Ursula Preis und Mag. Josef Redl.
Navigation
Artikel-ID: 938
➛Zum Artikelarchiv
Fächerzuordnung
✕
